Wednesday 27 March 2024

Zum Tod von Jürgen Heinz Elsässer, Stuttgart (1947-2023)

Ein Nachruf von Simon Steiner

THE BEAT GOES ON

DER MUSIKALISCHE JÜRGEN HEINZ ELSÄSSER


Jürgen Heinz Elsässer, geboren am 29.10. 1947, ist am 21.10. 2023 verstorben. 1960 fing er an, Singles zu sammeln und auf der SABA-Musiktruhe zu hören. Er liebte "den Schreihals Little Richard", danach war er völlig vernarrt in die Shadows und natürlich in die Beatles. In einem Interview schrieb Elsässer: "Die Idee eine eigene Band zu gründen wurde 1963 konkret. Zwei Schulfreunde spielten Gitarre und ich hatte mir einen Höfner-Elektrobass gekauft. Per Aushang im Musikhaus Barth fanden wir einen Schlagzeuger." 


Die jungen Herren trafen sich dort regelmäßig, denn beim Barth trafen sich Gleichgesinnte und konnten Instrumente und Verstärker testen. 1964 gewannen THE SHADES mit Elsässer an der Baßgitarre den "YEAH YEAH YEAH" Bandwettbewerb im Beethovensaal der Liederhalle Stuttgart. "Die Bandmitglieder konnten den Veranstalter bewegen, die Bühne bei "House of the rising sun" in rotes Licht zu hüllen, das machte das Publikum zusätzlich heiß," erzählte seine zweite Frau, die Künstlerin Xenia Muscat, die Jürgen zuletzt bis zum Tod begleitete. 


THE SHADES waren die wildeste und lauteste Gruppe. Bei der Publikumsabstimmung bekamen sie laut Phonmessgerät den kräftigsten Beifall. Mit "Skinny minny" und "What'd I say" räumten sie voll ab! "Sie haben gelärmt und gejubelt, sie haben ihre jugendliche Lebenslust herausgeschrien, die 3000 jungen Leute, die in der heißesten Show der Saison den Wettbewerb der schwäbischen Beatles-Bands miterlebten." (Stuttgarter Zeitung). 


Als Sieger durften sie eine Radioaufnahme beim Soldatensender AFN im Army-Studio auf dem Burgholzhof machen und anschließend eine Tournee mit dem Showorchester Bert Gordon, der Chanteuse Rita Paul, dem Horst Jankowski Quartett mit Schlagzeuger Charly Antolini sowie Knut Kiesewetter, der als deutscher Ray Charles angekündigt war. Als die Soulmusik dann Ende der 1960er Jahre immer populärer wurde, schwenkte die SHADES in diese Richtung um und nannten sich nun HARLEM TRADE SET.


Harlem Trade Set mit Jürgen Heinz Elssässer (Mitte) an der Baßgitarre



 

PSYCHEDLIC UNDERGROUND MIT NOAH'S ARK

 

Klaus Staeck und Jochen Goetze initiierten 1969 in Heidelberg das selbstverwaltete Kunstspektakel intermedia 69, das sich zwischen Anarchie und Rebellion bewegte und ein Ausblick auf die Kunst der 1970er Jahre sein wollte. Übergreifende Kunst, überall und für alle, so die Idee. Jürgen war dabei, er spielte bei der Psychedelic Band NOAHS ARK Undergroundmusik, gemeinsam mit dem Künstler Bruno Demattio, der schrieb: "Ich bringe die Musik gleich mit: NOAH'S ARK wird umsonst zur Ausstellung spielen, damit erhoffe ich auch, dass sich Musik mit anderen Aktionen glücklich vermischen wird." 


In einem persönlichen Gespräch erzählte Elsässer von sphärischen Konzerten von NOAH'S ARK im Stuttgarter politischen Kulturtreff Club Voltaire in der Leonhardstraße, von Protesten gegen den Krieg in Vietnam und Unterschriftensammlungen gegen die Notstandsgesetze.





MAILART UND COLLAGEN

 

Man kann sich gut vorstellen, wie Elsässer malte, zeichnete und collagierte und am PC seine Computerkunst ausdruckte, dazu Musik hörte, ein wahres, schönes Künstlerleben, könnte man meinen. Wie war er drauf? Xenia Muscat schrieb in der Dankeskarte zu seinem Tod: "Wir trauern über den Verlust eines zutiefst anständigen, unaufdringlichen und edelmütigen Menschen". So erlebte ich Jürgen Heinz Elsässer bei meinen Interviews zu unserem Punk-Projekt (Buch/Ausstellung/Livekonzerte), 2017: "Wie der Punk nach Stuttgart kam". Er war immer "gelassen, geduldig und freundlich", genau so, wie ihn Xenia beschrieb. Während unserer Podiumsdiskussion bei der Punk-Ausstellung im Württembergischen Kunstverein war er zurückhaltend, verfolgte aber das Punkprojekt höchst interessiert. Er war Kenner, er wusste, worum es ging, denn er war der Redakteur, der in den frühen 80er Jahren die einzigartigen Mausefalle-Konzerte für die Lokalpresse in Worte fasste und alle Haltungen und Stimmungen auf den Punkt brachte.


In seinem Büchlein "Jeder ist sein eigener Kolumbus" fragt Elsässer: "Die Welt läuft Amok - liegt die Zukunft im Koma? In den Rissen der Systeme hat sich etwas Neues eingenistet, New Wave, Punk, Postpunk. Eine Bewegung, die in der Musik losging, dehnt sich aus auf Literatur und Kunst." Und mittendrin schreibt, malt und collagiert Jürgen Heinz Elsässer. 1978 in der Galerie Hetzler in Stuttgart, mailart: 1979 im Künstlerhaus Stuttgart, zusammen mit seiner Frau Angelika Schmidt. Er ist 1981 bei der großen Ausstellung im Württembergischen Kunstverein dabei: Szenen der Volkskunst.


Aktuell 2023 – Jürgen Heinz Elsässer und seine heimliche Abgründe: "Hieronymus in Hollywood" nennen sich 26 Postkarten-Collagen von Elsässer für Xenia Muscat, die sich mit kurzen Texten zu den Collagen äußert: "Es singt der Riese und gleichgekleidet aus dem Untergrund steigende Männer fragen nach der Rabenjacke."



Für Jürgen Heinz Elsässer, gelernter Kaufmann, Musiker, Künstler, Publizist, Journalist ist eine mailart-Ausstellung in Planung.


Mehr dazu im Beitrag von Albrecht-d / Norbert Prothmann: http://www.albrecht-d.de/


Tuesday 26 March 2024

Rock-Archäologie – Pop in der Provinz

POP-FESTIVAL in Biberach 1972

Was die Provinz musikalisch doch zu bieten hatte und noch immer hat! Um 1970 herum regten sich überall im Südwesten Jugendinitiativen, die – getragen von einer ungeheuren Aufbruchstimmung, die im Zeichen der Rockmusik stand – an ihrem Ort Popkonzerte in eigener Regie und für wenig Eintrittsgeld veranstalteten. Diese Eintrittskarte vom Gigelberg-Festival (bei 2 1/2 Stunden Dauer war der Begriff "Festival" vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen) in Biberach 1972 fiel mir letzthin zufällig in die Hände. Ein Stück Popgeschichte Südwestdeutschlands. Die brititsche Band Nektar, die in Seeheim in der Nähe von Darmstadt auf dem Land in einer Kommune wohnten und wegen ihrer Light-Show gerühmt wurde, war eine bienenfleißige Band, die überall auftrat, wo man sie ließ, sprich: in jedem Kaff. Anfang der 1970er Jahre hat Nektar bis zu 250 Auftritte im Jahr absolviert, bevor die komplette Badn dann – nach einem Charts-Erfolg in den USA – nach Amerika umgezogen sind.



Thursday 21 March 2024

Beat in den 1960ern in Stuttgart

Jürgen Heinz Elsässer war Künstler, Intellektueller, Musikkritiker und Musiker in Stuttgart und in den frühen 1960er mit der Gruppe The Shades unterwegs. 1969 trat er mit der experimentellen Band Noah's Ark auf der alternative Kunstmesse INTERMEDIA 69 in Heidelberg auf. Elsässer ist im Oktober letzten Jahres verstorben. Dieser Text handelt von der Stuttgarter Beat-Szene, aus der Perspektive eines Beteiligten betrachtet – ein echter Augenzeugenbericht also. So geht Heimatkunde der anderen Art und ist Jürgens Andenken gewidmet.


Sammlung J. H. Elsässer



Sammlung J. H. Elsässer



 

Wednesday 13 March 2024

Yoko Ono Ausstellung in London

Yoko Ono in London

Von Fluxus über John Lennon bis in die Gegenwart

                                                         Foto: Promo



In riesigen Galleriekomplex der "Tate Modern" am Southbank-Ufer der Themse in London läuft gerade eine große Ausstellung zu Yoko Ono (noch bis zum 1. September 2024). Die japanische Künstlerin und Musikerin (Jahrgang 1933) war, bevor sie durch ihre Liaison mit John Lennon, den Beatles und danach mit der Plastic Ono Band ("Give peace a chance") weltbekannt wurde, eine junge Fluxus-Artistin in New York und mit vielen Künstler der Avantgarde bekannt und befreundet, darunter viele Musiker, die später zu Kultfiguren der Musikgeschichte wurden wie John Cage, experimenteller Komponist, LaMonte Young, Urvater der Minimal Music oder Ornette Coleman, Freejazz-Pionier.

Legendär sind heute Onos Fluxus-Performances, die sie Anfang der 1960er Jahre in ihrem Loft in Downtown-Manhattan veranstaltete und zu denen alle kam, die in der New Yorker Avantgarde-Szene Rang und Namen hatten. 

Yoko Ono mit dem Ornette Coleman Quartet (Fotos: C. Wagner)


Eine Vielzahl an Exponaten unterschiedlichster Medien (Papier, Skulptur, Film, Performance usw.) macht die Show zu einer hochinteressanten Angelegenheit, indem sie Einblicke in die vielfältigen Aspekte von Onos Schaffen gewährt und damit ganz nebenbei auch in das Wirken der Avantgarde der letzten 50 Jahre.


Über was sich die Presse anfangs mokierte, war z.B. die Wand am Ende der Ausstellung, wo Besucher auf kleinen Zettelchen Nachrichten, Sinnsprüche, Lebensweisheiten oder andere Äußerungen hinterlassen können, und die sich inzwischen zu einem beeindruckenden Werk minimalistischer Papierkunst ausgewachsen hat.


Anleitung Yoko Onos für eine Fluxus-Performance, Sommer 1961 (Foto: J. Revitt)



Die deutsche Autoharp

Vergessene Musikinstrumente

Die amerikanische Autoharp war in Deutschland als "Mandolinette" bekannt

Die Carter Family in den 1930 er Jahre

Die Autoharp, wie sie u.a. von der heute legendären Carter-Family (speziell von Sara Carter) in den 1930er Jahren in der amerikanischen Hillbilly-Musik vor allem als Rhythmusinstrument gespielt und popularisiert wurde, gab es auch in Deutschland. Hier wurde sie unter dem Namen "Mandolinette" von der Firma Josef Fischer aus Brunndöbra – im Erzgebirge im sächsischen Vogtland gelegen – vermarket. Brunndöbra liegt im sogenannten "Musikwinkel" von Klingenthal, Zwota und Markkneukirchen, wo früher eine berühmte Musikindustrie (Geigen, Mund- und Ziehharmonikas usw.) existierte. 

Bei der Mandolinette handelte sich um ein Saiteninstrument, eine Art Zither, die mit einem Mechanismus  ausgestattet war, mit dem auf Knopfdruck gewisse vorgegebene Akkorde gespielt werden konnten, was ihr die Bezeichnung "Akkord-Zither" bzw. "Manual-Zither" einbrachte. Es war eines jener radikaldemokratischen Instrumente, die durch technische Neuerungen ein leichteres Spiel erlaubten und so die Schwelle zum Musikmachen senkten. Ein spezielles Notenblatt (Tabulatur) wurde unter die Saiten gelegt, was es möglich machte, das Instrument auch ohne Notenkenntnisse zu spielen. 

Karl-Heinz Kleinbach, Ende der 1960er Jahren als Hobby-Folkmusiker im Club Monasterie in Esslingen aktiv, ist in den Besitz eines solchen, heute wohl recht raren Instruments gekommen und hat mir das Foto übermittelt.

Fischer's Mandolinette (Foto: Karl-Heinz Kleinbach)



Wednesday 6 March 2024

Jimi Hendrix 1969 in Stuttgart – neue Hintergründe aufgetaucht

JIMI HENDRIX 1969 IN STUTTGART 


Der Mann, der die südwestdeutsche Rockszene wachküsste



Jimi Hendrix kam nur einmal in den Südwesten. Am Sonntag, den 19. Januar 1969 spielte er die beiden einzigen Konzerte in der Stuttgarter Liederhalle (Beethoven-Saal), eines um 17, das zweite um 20 Uhr. Wie jetzt ein Brief von Fritz Rau von der Frankfurter Touragentur Lippmann & Rau an den heutigen Journalisten und Fotografen Hans Kumpf zeigt, war das Konzert ursprünglich bereits für Frühjahr 1968, und dann erneut für den 11. September 1968 geplant gewesen. Kumpf war damals Schüler am damaligen Aufbaugymnasium Michelbach/Bilz und wollte eine Busfahrt zu dem Konzert organisieren. Am 19. Januar 1969 fuhr dann ein eigens gecharterter Bus mit 55 Schülern und Schülerinnen zum Hendrix-Auftritt nach Stuttgart. "Meine Eintrittskarte in Reihe 7 kostete sieben D-Mark," schreibt Kumpf. "Eine Kamera hatte ich nicht dabei." – Schade!



 

Wednesday 28 February 2024

Scheibengericht Nr. 27: Jazz aus dem hohen Norden

Amalie Dahl's DAFNIE 


Mit originellen Ideen aus der Jazz-Sackgasse




Sich in der zeitgenössischen Jazzszene mit eigener Stimme Gehör zu verschaffen, ist zu einer äußerst diffizilen Herausforderung geworden. Originell zu sein in diesem weltweit riesigen Heer von hochkarätigen Musikerinnen und Musikern, scheint nahezu ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Arme Nachwuchsmusiker! Alles war schon mal da, alles scheint ausgereizt, alles klingt so, als ob man es schon zigmal gehört hätte. 

 

Fast alles! Immer wieder – und das sind rare Momente – taucht ein Musiker, eine Musikerin oder eine Band auf, die einen eigenen Ton anschlagen. Vorhang auf für Amalie Dahl’s Dafnie, ein Quintett aus Norwegen, das sich um die Saxofon-spielende Bandleaderin gruppiert, die für alle der acht Kompositionen verantwortlich zeichnet.

 

Stilistisch läßt sich die Gruppe aus Trontheim und Oslo kaum einordnen, praktizieren die fünf doch einen poly-stilistischen Ansatz, der trotzdem einen eigenen Kern besitzt. Es geht vom freien Spiel zu genau ausnotierten Kompositionen, von rauhen, aufbrausenden Improvisationen zu choralhaften Bläsersätzen. Manchmal spielen sich die drei Bläser ausgelassen und übermütig kleine Melodien zu, während Baß und Schlagzeug einen wuchtig-treibenden Rhythmus unterlegen. Am Ende mündet das Ganze in einem Unisono aller Instrumente, um danach die Saxofonistin auf Improvisationsreise zu schicken, die sie mit heißeren Schreien und Spaltklängen angeht. Man spürt den Einfluß der 1960er Jahren, doch nur als ein Stilelement unter vielen im großen zeitgenössischen Mix.

 

Das mannschaftsdienliche Spiel steht im Vordergrund, jeder Einzelne hat immer zuerst den Gruppenklang im Visier. Hier spielt eine Band, kein Solistenensemble, obwohl jeder auch ein beeindruckender Solist ist. 

 

Sätze und Erklärungen – die sich im Band-Info finden – wie, dass "die Musik ein Kommentar auf die ultra-kapitalistische Machtstruktur der Gegenwart ist", kann man getrost vergessen und dem jugendlichen Rebellionseifer und Oppositionsdrang der Musiker zuschreiben. Abgesehen davon, dass eine solche Parole nichts weiter als eine der vielen abgedroschenen linksradikalen Phrasen ist, hat sie – Gott sei Dank! – mit der Musik überhaupt nichts zu tun. Ein origineller Jazzmusiker mit einem eigenem ästhetischen Ansatz werden zu wollen, wäre künstlerisch gesehen schon Anspruch genug. Mit der Vorgabe, mittels Jazz das kapitalistische System aus den Angeln zu heben, macht man sich dagegen nur lächerlich. Der Musik wird damit eine krude Bedeutung übergestülpt, die sie verstümmelt, entwertet und der sie niemals gerecht werden kann. Dieser Illusion, mit Jazz politisch irgend etwas bewirken zu können, haben sich bereits Generationen von Musikern hingegeben und sind kläglich gescheitert. Der Mythos scheint bei jeder Generation wieder neu aufzuleben. Dagegen wendet der Verpackungskünstler Christo ein: „Kunst mit einem Anliegen ist immer Propaganda“ / „Art with a cause is always propaganda“(1). Was er meint, ist schlicht, dass Sinn und Zweck von Kunst nicht Politik ist, sondern Kunst. Damit könnte man es eigentlich bewenden lassen: Macht also lieber Jazz anstatt Propaganda. 

 

AMALIE DAHL'S DAFNIE:  Står Op Med Solen (LP/CD Aguirre ZORN105)

 

(1) https://news.artnet.com/art-world/artnet-asks-christo-350807


AMALIE DAHL'S DAFNIE im Klub Primi (youtube)