Tuesday 11 September 2012

CECIL TAYLOR - Das Tastentier


Das Tastentier

Cecil Taylors eruptiver Jazz



Im Herbst hätte der 83jährige Freejazzpianist zu Konzerten nach Deutschland kommen sollen. Er war auch für die Manufaktur in Schorndorf gebucht. Jetzt hat er alle Auftritte abgesagt.




von Christoph Wagner

Ich glaube, im März bin ich ihm zufällig in New York begegnet. Auf dem Broadway in Downtown Manhattan ging ein älterer schwarzer Herr mit Rastazöpfen, Sonnenbrille und nobler Kleidung an uns vorbei, der seltsame Worte vor sich hinraunte - Zauberformeln gleich. Erst als wir schon weiter gegangen waren, fiel mir plötzlich ein: Das könnte Cecil Taylor gewesen sein.

Gewissenhaft bereitet sich Taylor auf jedes Konzert vor. Schon Tage zuvor absolviert er ein rigoroses Übungsprogramm. Was dann folgt, ist die Attacke eines Karatekämpfers. Mit Intensität sausen die Hände auf die Tasten nieder und schleudern dissonante Akkorde, wuchtige Cluster und wilde Tonkaskaden hervor. Mit Fäusten, Ellbogen und Unterarmen bearbeitet er das Klavier. Cecil Taylors hebt den Jazz aus den Angeln. Das macht ihn zur umstrittensten Figur des Genres.

“Meine Mitmusiker packten schnell ihre Instrumente ein, als er eines Nachts nach einem Gig auftauchte,“ erinnert sich Schlagzeuger Sunny Murray an seine erste Begegnung mit dem Pianisten im Jahr 1959. “Sie sagten: ‘Das ist ein Verrückter - völlig durchgedreht!‘” Murray ließ sich nicht beirren und musizierte spontan mit dem Fremden, der ihn ziemlich aus dem Konzept brachte. “Ich hörte mittendrin einfach auf, so irritiert war ich.”

Die Begegnung mit Cecil Taylor markierte einen Wendepunkt in Murrays Karriere, stellte der Pianist doch alle Konventionen des Jazz in Frage. Bei ihm gab es weder einen swingenden Ryhthmus noch fortschreitende Akkordwechsel, keine Themen, keine Soli - nichts! Nur das wilde Durcheinander freier Improvisation. Doch je tiefer Murray in Taylors Klangwelt eintauchte, desto logischer kam sie ihm vor. “Seine Musik ist nicht chaotisch, sondern entlang eigener Parameter sorgfältig konstruiert und voller Rhythmus,” erläutert der Schlagwerker. Konzertbesucher sahen das anders. Manche warfen auf der Flucht nach draußen Tische und Gläser um, während Kritiker erklärten, “daß jeder mit einem Vorschlaghammer zu ähnlichen Ergebissen kommen könne.”

Hätten es nicht auch Zuspruch gegeben, wäre Taylor vielleicht ausgestiegen. “Zum erstes Clubgastspiel im New Yorker Five Spot kamen zur Eröffnungsnacht alle: John Coltrane, Eric Dolphy und Charles Mingus”, erzählt er. “Das gab uns Auftrieb, weil wir spürten, daß wir uns in die richtige Richtung bewegten.”

Solche Ermutigungen war hoch willkommen im zermürbenden Kampf um Akzeptanz und Auftritte. Kein Jazzclub wollte den Publikumsschreck engagieren. Kleine Cafes im East Village waren die einzigen Orte, wo sein Ensemble gelegentlich auftreten konnte. Auch Künstler und Fotografen stellten ihre Studios zur Verfügung. Aber mehr als ein paar Dollar warf das nicht ab. Um seine Musik in die Öffentlichkeit zu bringen, veranstaltete Taylor Privatkonzerte spätnachts in seiner Dachwohnung in Lower Manhattan. Als Drinks bot er den Besuchern Wasser an. Manchmal spielte er vor einer Handvoll Zuhörer, manchmal nur für sich alleine. 

Mit fortschreitendem Alter hat seine Musik an Variationsbreite gewonnen. Ob solo oder im Quartett  klingt nun zwischen dem eruptiven Powerplay auch lyrisches Spiel an, kurze Blues- und Bebop-Phrasen, ein nachhallender Akkord, eine kleine Melodie. Damit gewinnt sein Stil  wieder etwas von der luftige Qualität  zurück, die sie Mitte der  50er Jahre besaß, als sich Taylor aus Bebop und Hardbop in freies Terrain vortastete. Damals war er ein 25-jähriger Niemand und Außenseiter. Heute gilt er als eine der bedeutensten Musikerpersönlichkeiten der Gegenwart. Dazwischen liegen mehr als ein halbes Jahrhundert gegen den Strom schwimmen. 


Veröffentlichungen:
Cecil Taylor Quartet: Incarnation. FMP CD 123  ( http://www.fmp-label.de)
Cecil Taylor - The Willisau Concert. Intakt CD 072 (www.intaktrec.ch)

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