Wednesday 19 September 2012

GÜNTER BABY SOMMER: Musikalisches Versöhnungsprojekt



Klagelied gegen das Verbrechen

Günter Sommers musikalisches Versöhnungsprojekt

                                                                                                                                      Foto: Tobias Sommer

von Christoph Wagner

Vor vier Jahren war der ostdeutsche Jazzdrummer Günter Baby Sommer nach Griechenland zu einem Schlagzeug-Festival eingeladen. Bei der Ankunft in der kleine Ortschaft Kommeno, am Südrand des Epirus gelegen, erfuhr er von einem Massaker, das am 16. August 1943 von der deutschen Wehrmacht hier verübt worden war. Wegen einer vermeintlichen Unterstützung von Partisanen war die fast gesamte Bevölkerung des Dorfs massakriert worden, über 300 Menschen vom Säugling bis zum Greis.

Sommer war so geschockt, dass er beschloss, sofort wieder abzureisen. Nach reiflicher Überlegung revidierte er seinen Entschluß und blieb. Er sprach mit Überlebenden und Hinterbliebenen, Menschen, die oft ihre ganze Familie durch das Massaker verloren hatten. Er sammelte Informationen und Eindrücke. “Ich ließ die Menschen reden und hörte zu. Zuhören war das einzige, was ich tun konnte”, erinnert sich Sommer. “Eine immense Last.”

Die Idee reifte, das Verbrechen zum Inhalt eines musikalischen Projekts zu machen: Kunst als Medium zur Auseinandersetzung mit einer grauenhaften Geschichte, einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, vielleicht auch als Versöhnungsgeste nach 65 Jahren.

Der Dresdener Schlagwerker stellte ein Ensemble mit griechischen Musikern zusammen. Er konnte Jazzimprovisatoren wie den vorzüglichen Klarinettisten Floros Floridis für das Vorhaben gewinnen. Auch Musiker der traditionellen Musik klinkten sich ein, etwa der Saitenvirtuose Evgenios Voulgaris, der die Yayli Tanbur spielt, ein orientalisches Streichinstrument mit klagendem Ton. Songs wurden komponiert, Stücke entworfen, wobei eine Musik entstand, die die Brücke zwischen Jazz und griechischer Volkmusik schlägt.

Ein Stück, “Andartes” (=Partisanen) mit Namen, ist den Widerstandskämpfern gegen die deutschen Besatzer gewidmet. Aus einem Trommelsolo von Sommer schält sich ein markanter Rhythmus mit getragener Melodie heraus, die von verschiedenen Instrumentalisten zu einer größeren Erzählung weitergesponnen wird.

Ein anderer Titel “Children Song” ruft die ermordeten Kinder des Massakers in Erinnerung. Unter den Opfern waren 97 Jugendliche unter 15 Jahren, 42 Kinder, 29 Kleinkinder und 13 Säuglinge. Das Stück rückt den Gesang von Savina Yannatou in den Mittelpunkt, um den sich zuerst dichte Schlagmustern der Marimba entfalten. Danach kommt verstärkt die Laute Oud ins Spiel, um mit Trillern das Drama der Melodie noch zu steigern.

Im Zentrum des Albums steht ein 18-minütiger Epos mit dem Titel “Marias Miroloi”. Ihm liegt der Klanggesang von Maria Lapri zugrunde, einer Überlebenden, die in dem Lied die schrecklichen Ereignisse noch einmal Revue passieren läßt. Bei einem Besuch hatte Günter Sommer ihr Klanglied aufgenommen, das jetzt collagenhaft in die Komposition eingeblendet wird, nachdem zuvor die gestrichene Laute für eine trauernde Stimmung gesorgt hatte. Dieses Lamento wird schlagartig von einem vehementen Freejazz-Aufschrei abgelöst - ein Ausdruck von tiefstem Schmerz, Wut und Trauer.

In der Ausstattung läßt das Album keine Wünschen offen.  Es wird begleitet von einem 150-seitigen Booklet, das dreisprachig (englisch, deutsch, griechisch) und in ausführlicher Manier den historischen Kontext erläutert und Sommers Erfahrungen rekapituliert. Musik kann keine Wunden heilen, schon gar nicht begangenes Unrecht wiedergutmachen. Doch vielleicht kann sie dazu betragen, die Erinnerung an die Gräuel wach zu halten, um so die Sensibilität für derartige Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schärfen. Dann hätte sie ihren Zweck erfüllt.

Günter Baby Sommer: Songs for Kommeno (Intakt)

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