Friday 19 October 2012

Radio Radio Radio: THE WHO im Südwesten 1967


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SWR2 / Sonntag, 28. Oktober 2012 (23:03-24:00)

Musikpassagen:

THE WHO in ULM und RAVENSBURG - DIE ERSTEN ROCKKONZERTE IM SÜDWESTEN
Eine Sendung von Christoph Wagner


Erbarmen - die Briten kommen!
 
Vor 45 Jahren fand das erste große Popkonzert in Südwestdeutschland statt. The Who ließen keinen Stein auf dem anderen
 

 CW. The Who gelten bis heute als die bösen Buben des Rock. Diesen Ruf haben sie sich in den sechziger Jahren erspielt, als sie bei jedem Auftritt ihr Instrumentarium zertrümmerten. Pete Townsend schlug seine Gitarre zu Bruch und Keith Moon zerlegte das Schlagzeug. Was bei der älteren Generation nur Kopfschütteln und Empörung auslöste, elektrisierte die jungen Popfans.
 
Nach einer kurzen Debuttournee im November 1966 kam die britische Rockgruppe, die mit Hits wie “My Generation” die Hymne für eine ganze Generation geschrieben hatte, im April 1967 zu einer längeren Gastspielreise wieder in die Bundesrepublik. Dieses Mal machte die Band auch in Südwestdeutschland Station. Ihre beiden Auftritte am Sonntag, den 16. April 1967 in Ravensburg (nachmittags) und in Ulm (abends) waren die ersten großen Popkonzerte einer bedeutenden englischen Rockgruppe im Südwesten und schlugen wie der Blitz ein.
 
So etwas hatte Ravensburg noch nicht erlebt. Bereits um die Mittagzeit bildeten sich “lange Autokolonnen junger Leute aus dem ganzen Oberland” (Lokalpresse). Um 15 Uhr, dem offiziellen Beginn, drängelten sich 3000 Zuschauer in der Oberschabenhalle. Nach einer 20-minütigen Verspätung, die von einem Pfeifkonzert begleitet wurde, brachten zu erst ein paar lokale Beatbands die Fans in Stimmung: Die “Scarecrows” aus Kempten boten weichen Beat, die “Earlybirds” aus Leutkirch schlugen danach einen härteren Beat ein. Genauso begeistert wurden anschließend die “Sidetracks” aus Ravensburg aufgenommen. Nachdem noch das Folklore-Paar Rondo & Chaine ein paar Lieder zum Besten gegeben hatten, machte sich langsam eine knisternde Spannung breit. Die Fans bezogen vor der Bühne Position, während die Verstärkeranlage der Who aufgebaut und das Schlagzeug festgenagelt wurde.
 
Um 17 Uhr war es dann so weit: Mit Furor eröffnete The Who die Show. “Substitute” machte den Auftakt. Noch ein paar Songs und der Auftritt steuerte dem Höhepunkt zu: “Die letzte Runde in dem verzweifelten Kampf mit Gitarre und Schlagzeug leitete die Explosion einer Rauchbombe auf der Bühne ein,” berichtete die Lokalzeitung. “Riesige Lautsprecher stürzten zu Boden und Mikrophone wirbelten herum. Wie ein Phönix aus der Asche tauchte plötzlich Pete Townsend aus den Rauchschwaden hervor und schwang die Gitarre. Wie in Trance schmetterte er das teure Instrument auf Trommeln, Mikrophone und die Verstärkeranlage. Er hatte alle Mühe, die Gitarre zu Bruch gehen zu lassen”.
 
Nach 25 Minuen war der Spuk vorbei, und einer der Fans, Harald Rapp, um ein Schlagzeugfußpedal reicher. Dem Teenager aus Mengen war im Tumult das Schlagzeugteil geradewegs “in den Schoß gefallen”. Seine Popband “Anythings” spielte noch Jahre später mit der Fußmaschine von Keith Moon.
 
Während die Fans in Ravensburg noch “sprachlos auf den Stühlen standen”, fieberten 1400 junge Leute in Ulm dem Abendkonzert entgegen. Doch auch in der Münsterstadt war zuerst einmal warten angesagt. Nicht nur waren die Who im Verkehr stecken geblieben, auch gab es Streit zwischen dem englischen Manager der Band und dem deutschen Tourveranstalter. Der Engländer verlangte plötzlich mehr Geld. Er drohte, dass die britische Gruppe nicht auftreten würde. “Das ist glatte Erpressung”, tobte Walter Puls von der Musikproduktion West aus Düsseldorf. Doch am Ende blieb ihm nichts anderes übrig als klein beizugeben, wollte er keinen Krawall riskieren. Von unten im Saal war bereits ein schrilles Pfeifkonzert zu hören.
 
Um 23 Uhr betraten dann endlich The Who die Bühne und zogen die bekannte Show ab. Die Phonzahlen kletterten in den Düsenjet-Bereich. Die Beatfans schien das nicht zu stören, im Gegenteil: “Das Publikum ging begeistert mit, geriet immer mehr in Ekstase,” hielt der Presseberichterstatter fest. Am Ende das übliche Inferno: Rauchbomben, Instrumentenmasaker, Tohuwabohu. “Auf der Bühne sah es wie nach einem Bombenangriff aus,” stand am nächsten Tag in der Zeitung. The Who hatten den deutschen Südwesten aus seinem popmusikalischen Dornrößchenschlaf erweckt.
 
Am nächsten Morgen fuhr die Band nach Bremen weiter. Auf der Autobahn bemerkte der Bandmanager plötzlich, dass er seine Aktentasche mit den Gagen von 20000 DM vermisste. Man raste nach Ulm zurück, wo der Koffer unbeschadet im Hotel angetroffen wurde. Ein Urlauber hatte ihn auf dem Gehsteig entdeckt und im Hotel abgegeben.

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