Sunday 3 February 2013

MAGMA - Interview mit CHRISTIAN VANDER


Musik von einem anderen Stern

Sie singen in einer eigenen Sprache und behaupten, vom Planeten Kobaia zu kommen - die französische Gruppe Magma meldet sich mit einem neuen Album zurück


 cw. Was Kraftwerk, Faust oder Can für Deutschland, war Magma für Frankreich: die Band, die in den 70er Jahren das Land auf die Weltkarte der internationalen Rockmusik setzte. Nach einigen Jahren Auszeit ist die Formation aus Paris jetzt wieder aktiv und hat gerade ein neues Studioalbum vorgelegt.

Magma gilt als eine der mysteriösesten Formationen der Popgeschichte. Die Mitglieder tragen einheitlich schwarze Kleidung mit dem vielzackigen Magma-Emblem auf der Brust. Sie schufen sich eine eigene Mythologie, wonach sie einst die immer unbewohnbarer gewordene Erde verlassen hatten, um sich auf dem Planeten Kobaia niederzulassen. Von dort unternehmen sie nur noch sporadisch  kurze Stippvisiten auf ihren ehemaligen Heimatplaneten.

Konsequenterweise singt Magma in einer eigens dafür erfundenen Sprache - “kobaianisch”, das sich wie ein Kauderwelsch aus  slawischen Sprachen, Deutsch und Französisch anhört. Und die Mitglieder treiben das Spiel noch weiter: Sie nahmen kobaianische Namen an. Dazu machen sie eine Musik, die wie von einem anderen Planeten klingt.
Schlagzeuger Christian Vander (Jahrgang 1947), der auf kobaianisch Zebehn Strain De Geustaah heisst, steht im Mittelpunkt der Gruppe, Magma ist seine Kreation. Vander komponiert die gesamte Musik und ersinnt die lautmalerischen Texte. Von seinem Schlagzeugstuhl aus dirigiert er das Ensemble und treibt mit komplexen, kraftvollen Trommelbeats seine Mitspieler zu Höchstleistungen an. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen.

Vander gibt Magma eine eindeutig europäische Ausrichtung, mischt vertrakte Rockrhythmen, elektrische Sounds und Improvisationen mit Stilelementen aus der Klassik. Die Musik besitzt eine kompromisslose Unbedingtheit, klingt streng, kühl, ja monumental, manchmal geradezu apokalyptisch, ohne auf ekstatische Momente zu verzichten. Magma schuf einen völlig eigenständigen Sound, von dem die Gruppe bis heute keinen Millimeter abgewichen ist.
Stimmt es, dass sie ihr erstes Schlagzeug vom Jazztrompeter Chet Baker geschenkt bekommen haben?

Christian Vander: Richtig! Damals in den 50er Jahren lebte Chet Baker in Paris und wohnte zeitweise bei meiner Mutter und mir. Er war vom Schlagzeug faszinert und wir fingen an zu trommeln. Wir saßen uns gegenüber und spielten: Er 4 Takte, ich 4 Takte, er 8 Takte, ich 8 Takte usw.

Um die Nachbarn nicht zu stören, trommelten wir meistens mit Besen auf Löschpapier. Eines Tages sagte Chet: “Du machst dich gut! Du brauchst ein richtiges Schlagzeug. Ich finde dir eins.” Einige Tage später, als er im Jazzclub “Chat Qui Peche” ein längeres Engagement hatte, verabretete er sich mit mir vor dem Konzert. Als ich ankomme, sehe ich, wie Chet mit einem Schlagzeug unter dem Arm die Treppe des Clubs hochkommt. Wir packten es in ein Taxi und fuhren zu mir nach Hause ins 10te Arrondissement, in die Rue René Boulanger. Endlich hatte ich ein Schlagzeug. Ich war verrückt vor Freude - bis zu dem Tag als die Gerichtsvollzieher kamen. Chet hatte nicht nur das Schlagzeug von seinem Drummer geklaut, es war außerdem nur gemietet. Es wurde ein Verfahren eingeleitet und sie fanden schließlich das Schlagzeug. Ich fiel aus allen Wolken. Als 14jähriger kam ich zum Verhör vor Gericht. Weil ich so jung war, hatte der Richter ein Nachsehen. Trotzdem wurde ich dazu verurteilt, die Mietkosten für das Schlagzeug zu bezahlen. Ich habe Chet Baker später wieder getroffen und wir haben herzlich über die Episode gelacht.

Es heisst auch, dass sie das Schlagzeugspiel von Elvin Jones gelernt hätten?

Christian Vander: Ich lernte Elvin Jones durch den Saxofonisten Bobby Jaspar kennen, der bei uns wohnte. Bobby war der beste Freund meiner Mutter, ebenso wie Elvin Jones. Damals spielte Bobby Jaspar mit Elvin Jones im Orchester von Bob Brookmeyer. Bobby stellte mir Elvin mit dem Satz vor: “Von dem wirst du noch hören!”  Kurz darauf wurde Jones Mitglied im Quartett von John Coltrane. Mit Elvin habe ich über sein Schlagzeugspiel gesprochen, vor allem auch über die Wahl der richtigen Schlagzeugstöcke. Mit der Zeit wurde Elvin Jones so etwas wie ein spiritueller Vater für mich.

Als er mit Coltrane in Paris spielte, saß ich ganz nah an der Bühne, nur einige Meter vom Schlagzeug entfernt. Nach den Konzerten gingen wir oft noch zu einer Jam Session etwa ins “Blue Note”, einen Jazzclub. Es war ein Privileg, dabei zu sein, weil niemand wusste, ob die Musiker nach dem Konzert noch eine Jam Session bestreiten würden. Manchmal waren nur 10 Zuhörer im Club, um dem Trio von Elvin Jones, McCoy Tyner und Jimmy Garrison  zuzuhören.

Bei Jam Sessions habe ich John Coltrane nie erlebt. Einmal im “Blue Note” spürte ich jemanden hinter mir – es war Coltrane. Er hatte sein Saxofon dabei. Er hörte sehr intensiv dem Trio zu, das u.a. Stücke der Schallplatte “Inception” spielten, dem Debutalbum von McCoy Tyner. Ich war gepackt von der Musik. Ich ging von meinem Platz weg, und als ich zurückkam, war Coltrane nicht mehr da.

Paris war in den 60er Jahren vielleicht neben Kopenhagen die Hauptstadt des Jazz in Europa. Viele amerikanische Musiker lebten zeitweise in der Stadt etwa das Art Ensemble of Chicago oder Anthony Braxton. Hatten sie Kontakt zu dieser Szene?

Christian Vander: Nein, in diesem Milieu verkehrte ich nicht.
Ich habe diese Musiker gelegentlich gehört. Das waren tolle Improvisatoren, aber ich war damals total im Bann von John Coltrane und hatte für nichts anderes Ohren.

John Coltrane war ihr Vorbild. Gab es auch Einflüsse früher englischer Jazzrockformationen wie Soft Machine auf die Musik von Magma?

Christian Vander: Ich kannte Soft Machine von Schallplatten. Aber im Gegensatz zu anderen Leuten, war ich von der Gruppe nicht überwältigt. Ich hörte zu viele Einflüsse von John Coltrane in ihrer Musik. Sie nahmen eine seiner Phrasen und formten daraus ein Thema. Im Gegensatz zu Soft Machine war John Coltrane ein Ozean, eine Sintflut des Ausdrucks, eine Quelle der Inspiration – unbändig und ständig in Bewegung. Jede Platte hörte sich neu und überraschend an.

Magma macht eine spezifisch europäische Musik. War die Abkehr vom anglo-amerikanischen Modell der Rockmusik ihr Ziel?

Christian Vander: Ja, in der Tat. Ich hatte etliche kontinental-europäische Gruppen gehört, die anglo-amerikanische Musik machten. Wie kann man in England oder Amerika Beachtung finden, wenn man deren Musik kopiert? Sinnlos! Man musste also stark dagegen halten. An diesem Punkt setzte Magma an. Unsere Musik wirkte wie eine Flutwelle.

Warum haben sie für Magma eine eigene Sprache entwickelt?

Christian Vander: Das war keine intellektuelle Angelegenheit wie die Kunstsprache “Esperanto”. Vielmehr wurden Töne und Worte spontan zu der jeweiligen Komposition erfunden. Französisch klang für mich einfach nicht kraftvoll genug. Mit der Zeit kam ich dazu, bestimmte Stimmungen und Worte in kobaianisch zu übertragen. Auf jeden Fall unterliegt diese Sprache einer ständigen Entwicklung, weil für jedes Stück neue Wörter kreiert werden müssen. 

Magma verschwand in den 80er Jahren von der Bildfläche. Warum?

Christian Vander: Wir haben uns nie aufgelöst. Ich habe auf jedes Album geschrieben: “Magma – für das Leben, für den Tod und darüber hinaus!” Als Magma aber einen Sommer lang nicht mehr auftrat, schrieben die Zeitungen gleich: “Magma gibt es nicht mehr!” Man hatte den Eindruck, sie hätten nur darauf gewartet. 1983 mussten wir die Gruppe in einen erzwungenen Schlaf versetzen, weil wir nicht mehr genügend Konzerte fanden.

Das erwies sich als positiv, weil es uns erlaubte, an einem anderen Bandprojekt zu arbeiten, was zu der Gruppe Offering führte. Mit der Zeit ergänzte die Musik von Offering die von Magma. Es gibt heute ein echtes Offering-Publikum, obwohl ein Teil des Magma-Publikums uns diese Band nie verziehen hat. Bei Offering agierte ich auch als Sänger, aber das Publikum wollte mich am Schlagzeug hören. Was die Klangfarben anbelangt, machte Offering eine zerbrechlichere Musik als Magma und ließ mehr Platz für Improvisationen. Es war risikoreicher, aber wenn es funktionierte, war es magisch.

Auf Initiative eines Freunds haben wir Magma vor ein paar Jahren wieder ins Leben gerufen. Er versprach uns, 20 Konzerte zu beschaffen. Ich habe zugesagt, ohne zu wissen, mit wem ich die Auftritte bestreiten würde. Es passierte einfach und hat mich auch nicht weiter beunruhigt. Jetzt sind wir zurück!

Wenn sie zurückblicken, wie würde sie die Entwicklung von Magma beschreiben?

Christian Vander: Ich hatte das Glück, John Coltrane als Vorbild zu haben. Jede seiner Schallplatten war eine Überraschung. Das wurde auch für Magma mein Grundsatz. Jede Schallplatten sollte eine Weiterentwicklung darstellen – etwas Neues, Unerwartetes bringen. Niemals etwas zweimal machen, sonst wird man sein eigenes Plagiat. Niemals auf die Meinung des Publikums hören, das dazu neigt, die Musik in die Vergangenheit einsperren zu wollen. Niemals eine Schallplatten nur zum Selbstzweck machen. Ich habe nie auf musikalische Moden geachtet. Magma fließt durch die Zeiten hindurch.

Neuerscheinung:
Magma: Félicité Thösz (Seventh Records)

Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.Jazzthetik.de)
Übersetzung aus dem Französischen: Ulrike Tyrs

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