Tuesday 4 June 2013

Low, Feldman, Wolfarth, To Rococo Rot etc.: Strategien der Reduktion


Die Dehnung der Zeit
 
Mit minimalistischen Strategien gehen Musiker aus unterschiedlichen Stilen gegen die Zeitkrankheiten Hektik und Hyperkomplexität an - Reduktion und Einfachheit werden neu entdeckt
 
                                                                                     Low machen Slow-Core
 
cw. Ihr Bandname steht für “low speed” und “low volume”. Vor zwanzig Jahren gegründet, hat sich die amerikanische Gruppe Low einem Stil verschrieben, der als Anachronismus in einer Welt des Überschalls erscheinen muß. Low machen Pop in Zeitlupe, Songs im Schneckentempo. „Slow-Core“ sagen sie dazu, was als Kontrapunkt zu “Speed-Metal” zu verstehen ist. “Früher traten wir häufig bei „Band-Nights“ zwischen einer Punk- oder Grungeband auf. Es fühlte sich an, als ob wir gegen die Stimmung der Leute anspielten,“ erzählt Mimi Parker, Schlagzeugerin und Sängerin von Low. „Wir bekamen Panik-Attacken, weil wir leise und minimalistisch musizierten. Am liebsten wäre ich manchmal davongelaufen. Doch gelegentlich gab es eine magische Verwandlung. Die Zuhörer ließen sich auf unsere Musik ein.“
 
Low nimmt sich bewußt zurück. Die Beschränkung auf das Allernotwendigste verwandelt ihre Songs in Miniaturen von fragiler Einfachheit. Ein anderes Zeitmaß wird etabliert. Durch die Verlangsamung nimmt der Hörer die Musik anders wahr, einzelne Worte und Töne bekommen mehr Gewicht. „Langsame Musik klingt leise am besten,“ weiß Mimi Parker. Und leise Musik bewirkt, daß das Publikum aufmerksamer zuhört. Die Stille funktioniert paradoxerweise wie eine Verstärkeranlage: Wenn man die Lautstärke zurückdreht, werden die Ohren der Zuhörer größer. “Als wir anfingen, spielten wir Nummern, die bordunartig, monolitisch und meditativ waren,“ erinnert sich Low-Gitarrist Alan Sparhawk. „Solche Stücke ziehen die Zuhörer hinein, was komplexere Kompositionen oft nicht schaffen. Der Minimalismus macht die kleinste Bewegung sehr groß.“
 
Der Avantgarde-Komponist Morton Feldman (1926-1987) war eine Inspirationsquelle für Low. Vor allem Feldmans frühe Piano-Stücke haben es der Gruppe angetan. Sie dehnen die Zeit. Zwischen den Tönen und Akkorden entfaltet sich eine wundersame Spannung. Feldmann war ein Meister der kleinen Form. Seine Miniaturen für Piano sind unscheinbare Stücke, die ganz auf die große Geste verzichten. Sparsame Töne von eine träumerischen Sinnlichkeit prägen die Kompositionen - manche kaum zwei Minuten lang. Die Pianistin Sabine Liebner trifft auf ihrer aktuellen Einspielung den richtigen Ton.

                                                                                          Morton Feldman und John Cage

Morton Feldman war eng mit John Cage befreundet. Mit seiner Komposition “4’33” entwarf Cage 1952 das ultimative Stück des Reduktionismus. Es besteht aus nichts anderem als vier Minuten und 33 Sekunden Stille. Cage ging es darum, das Nichts sinnlich erfahrbar zu machen, das für ihn eine Imagination von Ewigkeit war. Der Interpret ist gehalten, ganz ruhig an seinem Instrument zu sitzen und keinen Ton hervorzubringen. Durch die Stille nimmt das Publikum plötzlich die Geräusche der Umgebung wahr, deren Poesie Cage herausheben wollte. “Musik der Realität” war seine Bezeichnung dafür. "Was mir wirklich an dem stillen Stück gefällt, ist, dass es jederzeit gespielt werden kann," meinte er schelmisch.

                                                                                                   Christian Wolfarth
 
Cages „4’33“ wurde in den 90er Jahren zum Fluchtpunkt einer internationalen Bewegung von Avantgarde-Musikern, die sich einem radikalen Reduktionismus verschrieben und in Wien, Berlin und London ihre Hauptquartiere hatten. Ihre asketische Musik neigte zur Ereignislosigkeit und war manchmal noch leiser als leise. In letzter Konsequenz verschwand sie vollkommen in der Stille. Der Schweizer Schlagwerker Christian Wolfarth ist mit dieser Szene lose verbunden. Er hat sein Schlagzeug mehr und mehr ausgedünnt und verkleinert und spielt heute oft nur noch auf ein paar ausgesuchten Metallbecken, die er mit Geigenbögen streicht, um sie leise summen und brummen zu lassen. Monochromen Klänge, die oft wie elektronische Sounds klingen, ebben auf und ab und schimmern in vielen Farben.  
                                                                                     To Rococo Rot (Foto: Adi Wolotzky) 

Nur wenige Elemente prägen die elektronische Loopmusik der Formation To Rococo Rot, deren Mitglieder aus Düsseldorf und Berlin kommen. Meistens steht der Rhythmus im Vordergrund, getragen von einem wuchtigen Baßriff. Melodie und Harmonik sorgen als dezente Klangfarben für Koloratur. Mit den Loops und der stetigen Wiederholung kommt ein trancehaftes Moment ins Spiel. Die Mitglieder des Trios sind Meister im Weglassen. “Wenn man in kompletter Dunkelheit sitzt, entwickelt das Gehirn von selbst Bilder, weil es keine Sinneswahrnehmung mehr gibt,“ erläutert Elektroniker Robert Lippok die Idee. „Unsere Musik funktioniert so ähnlich. Oft haben uns Konzertbesucher erzählt, dass sie Melodien hören, die gar nicht in den Stücken sind. Dadurch wird der Hörer zum Mitmusikanten und zum Teil der Band.”
 
Jazzmusiker gehen mit Tönen großzügiger um. Der ökonomische Umgang mit den musikalischen Mitteln zählt nicht zu den Tugenden des Stils – im Gegenteil: die Improvisationen laden die Solisten dazu ein, sich voll auszuspielen. Von diesem Musizierideal weicht das Enemble Fifty-Fifty ab. Nur zwei Musiker bilden die Formation: Drummer Manfred Kniel schlägt vielschichtige Pattern, die sich auf unterschiedlichen Zeitebenen bewegen und sich Loop-artig wiederholen. Saxofonist Ekkehard Rössle gibt sparsame Töne dazu, die vom kühlen Spiel des Cooljazz beeinflusst sind. Die beiden führen die Musik auf ihre Ur-Elemente zurück: Melodie und Rhythmus. Tranzparenz und Räumlichkeit gehen daraus hervor. “Die psychologische Herausforderung besteht darin, dem Erwartungsdruck der Zuhörer nicht nachzugeben und seine Virtuosität und Spieltechnik in Zaum zu halten,” stellt Kniel fest. “Es ist schwierig, Zurückhaltung zu üben und sein Ego zurückzustellen. Musiker haben Angst vor der Stille und neigen dazu, sie mit Tönen und Klängen zuzukleistern.”  
 
Mit  “Zen-Funk” versucht der Zürcher Nik Bärtsch mit seinem Ensemble Ronin diese Falle zu umgehen. Kleinste melodische Partikel werden stetig wiederholt, leicht variiert und verzahnt. Pausen sind so wichtig wie Töne und Klänge. “Ich habe von Morton Feldman gelernt: Wenn man eine musikalische Idee klar vermitteln will, sollte man es so einfach wie möglich tun!“ erläutert Bärtsch seinen Ansatz. „Dazu muß man seine Ästhetik total klären und zuspitzen. Wenn die Mikrophrasierung, die kleinen Verschiebungen, das Timing, das Timbre und die Ghost Notes eine Rolle spielen sollen, muss auch Platz in der Musik sein, das überhaupt wahrnehmen zu können. Das Narrative einer Melodie kann sehr spannend sein, zieht aber Aufmerksamkeit vom rhythmischen Geschehen ab.“ Bärtschs Musik nimmt sich Zeit, baut sich nur langsam auf: kurze rhythmische Formeln, Melodien und Riffs laufen in immergleicher Manier im Kreise und greifen mit der Präzision eines Uhrwerks ineinander. In diesen Labyrinthen kann man sich verlieren.
 
Low: The Invisible Way (Sub Pop)
Sabine Liebner: Morton Feldman / Early Piano Pieces (Do-CD / Wergo)
Christian Wolfarth: Acoustic Solo Percussion Vol. 1-4 & Remixes 
(Hiddenbell Records)
To Rococo Rot: Rocket Road (3er CD Box / City Slang)
Fifty-Fifty: Let’s Count (Klangbad)
Nik Bärtsch’s Ronin: Live (ECM)

Der Artikel erschien zuerst in der WoZ (Die Wochenzeitung / Zürich)
 

No comments:

Post a Comment