Monday 31 March 2014

Vortrag mit Visuals & Musik: die Anfänge der Tübinger Rockszene

CHRISTOPH WAGNER im Club Voltaire / Tübingen / 11. Juni 2014

Popgeschichte vor Ort:  

KRAFTWERK für 3 Mark

Tübingen in der Woodstock-Ära – als Rock und Protest Hand in Hand gingen


 Vergilbte Konzertplakate und Flugblätter, alte Fotos und Zeitungsberichte sowie jede Menge Musik bilden das Material, mit dem der Musikhistoriker Christoph Wagner (Autor von ‘Der Klang der Revolte’) die Anfänge der Popgeschichte in Tübingen nachzeichnet, als Ende der sechziger Jahre im Zimmertheater avantgardistische Happenings stattfanden, Politbands bei Demos rockten, Protestsänger zum “Klassenkampf” aufriefen, Underground-Konzerte von Protest begleitet wurden und Kraftwerk für 3 Mark in der Mensa spielte. Im Sommer 1971 ging dann das erste Rock-Festival unter chaotischen Verhältnissen auf einer Wiese außerhalb Tübingens über die Bühne. 

Mittwoch, 11. Juni 2014 / 20 Uhr 
Club Voltaire, Tübingen, Haaggasse 26b

Saturday 22 March 2014

Circuit Bending: Die digitale Verwandlung

 Musik aus der Recycling-Tonne

Das Modified Toy Orchestra macht mit ausgebrauchtem Spielzeug elektronische Popmusik

cw. Das Modified Toy Orchestra ist keine Popgruppe wie jede andere. Der Grund: das Instrumentarium der Band besteht ausschließlich aus ausgedientem elektronischen Kinderspielzeug. Die Formation kommt aus der “circuit bending”-Bewegung der Elektronikszene, die das kreative Kurzschließen von Schaltkreisen in elektronischen Gebrauchsgegenständen auf ihre Fahnen geschrieben hat. Mit digitalen Geräten des modernen Alltags wie Spielsachen, Mobiltelefonen, Funkuhren und Lerngeräten, die piepsen, sprechen und kleine Melodien spielen, machen junge Musiker in den USA, Japan und Europa eine neuartige elektronische Musik, die manchmal lärmig-chaotisch und manchmal poppig-liedhaft klingt.

Das Modified Toy Orchestra ist eine der führenden Ensembles des Genres. Die Gruppe aus dem englischen Birmingham wurde vor zehn Jahren von Brian Duffy gegründet, der sich damals als Musiker in einer Schaffenskrise befand. “Ich verlor das Interesse an Gitarren, Keyboards und Blasinstrumenten. Es frustrierte mich, im Möglichkeitsraum dieser Instrumente gefangen zu sein. Immer die gleichen Akkordfolgen, die selben Intervalle – ich sah keinen Sinn mehr darin,” erinnert sich der Musiker. Als er zufällig eine elektronische Rechtschreibmaschine mit einer synthetischen Stimme auf einem Flohmarkt fand,  erregte das sein Interesse. “Ich versuchte zu erkunden, wie diese künstliche Stimme zustande kam und öffnete das Spielzeug, um irgend einen Hinweise zu finden. Während ich die Schaltkreise erkundete, schloß ich sie kurz und das Gerät fing an, andere Geräusche zu machen, die Stimme verzerrte und ein elektronisches Piepsen war zu hören. Das war eine Entdeckung!”
 
Duffy fing systematischer an, elektronische Spielsachen zusammenzutragen und ihre Schaltkreise umzupolen, um neue Sounds zu erzeugen. “Ich begab mich auf eine Reise durch die versteckte Welt der Geräusche, Klänge und Töne dieser elektronischen Spielsachen.” Mit der Zeit dämmerte ihm, dass er das Kinderspielzeug in Musikinstrumente verwandelte, mit denen man auf die Bühne gehen und Konzerte geben konnte.

Nach Jahren des Experimentierens und diverser Soloauftritte gründete Brian Duffy vor zehn Jahren das Modified Toy Orchestra, das anstatt konventioneller Musikinstrumente ausschließlich digitale Spielgeräte verwendet. Zwei Grundsätze kommen dabei zum Tragen:  “Wir benutzen nur Spielsachen, die keinen Wert mehr besitzen, also Abfall sind, um daraus etwas Interessantes zu kreieren,” erklärt Duffy. “Überdies dürfen diese Geräte nicht mehr als £ 1 kosten. Wir finden sie in der Mülltonne, im Recycling-Zentrum und auf Flohmärkten.”

Hinter diesem Wiederverwendungsprinzip steht die alte alchemistische Idee, aus Schrott Gold zu machen. Dazu kommt ein radikaldemokratischer Gedanke: Weil für diese Form des Musikmachens kein Vorwissen erforderlich ist und alle am gleichen Ausgangspunkt beginnen, kann jeder mitmachen.

Mit dem Modified Toy Orchestra macht Brian Duffy heute eine elektronische Popmusik im Songformat mit eingängigem Beat, wobei in jedem Stück eine Reihe ganz speziell dafür präparierter Spielsachen zum Einsatz kommt: Barbie-Puppen, Kinderkeyboards, digitale Spielzeug-Gitarren ohne Saiten, dazu elektronische Drum-Maschinen und Lerngeräte. “Von manchen Instrumenten haben wir nur ein Exemplar gefunden. Wenn so ein Gerät kaputtgeht, können wir ein bestimmtes Stück nicht mehr spielen, was sehr frustrierend ist,” erklärt Duffy.

Das Umpolen von Schaltkreisen (engl. circuit bending) bietet die Möglichkeit, sich in unbekannte und fremdartige Klanglandschaften zu begeben, die voller Überraschungen sind. “Die Spielgeräte bieten die Möglichkeit, mit Musik anders zu verfahren. Es geht darum, mit den Beschränkungen der Spielzeuge zu arbeiten, sich ihren Begrenzungen zu unterwerfen,” erklärt Duffy. “Begrenzungen sind das Inspirierendste, was es gibt!”

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.
Ein längeres Interview mit Brian Duffy erscheint in der Neue Zeitschrift für Musik, 2-2014.


Monday 17 March 2014

POP-RECYCLING: 'Live'-Aufnahmen von Popfestivals in den 70ern


Fundgrube musikalischer Schätze
                                               
Immer mehr Auftrittsmitschnitte von Popfestivals der siebziger Jahre finden ihren Weg in die Öffentlichkeit


cw. Die Ruhrpottstadt Essen machte den Vorreiter. Nach den “Internationalen Essener Songtagen 1968” und dem “Internationalen Essener Pop- und Bluesfestival 1969” brach 1970 der Damm: eine wahre Popfestivalwelle überflutete die Bundesrepublik und zog in der ersten Saison eine halbe Million Besucher an. Rockfestivals wirkten damals wie Magnete auf alle Jugendlichen, die sich als Teil der “Woodstock Generation” fühlten. Oft hatte der eine oder andere Fan ein tragbares Tonbandgerät dabei, um die Auftritte der Stars mitzuschneiden, was damals problemlos durchging und keine aggressiven Ordner auf den Plan rief.

In den letzten Jahren haben sich verstärkt kleine Plattenfirmen daran gemacht, solche Festival-Mitschnitte von Privatpersonen ausfindig zu machen, zu sichten und - falls die Tonqualität es erlaubt - auf CD zu veröffentlichen. Seit Jahren gibt es eine “Taper”-Szene, in der Mitschnitte von Konzert- und Festivalauftritte der Hippie-Ära zirkulieren, oft von bekannten Bands wie Pink Floyd oder Deep Purple. Nicht selten finden solche Aufnahmen den Weg ins Internet, wo sie dann auf der Plattform “youtube” landen, wie der Mitschnitt des Auftritts von Jimi Hendrix in der Stuttgarter Liederhalle im Januar 1969.

                                                                                              EuroPop-Festival, Aachen 1970
Eines der herausragenden Popereignisse des Jahres 1970 war das Euro-Pop-Festival in Aachen, das über Pfingsten stattfand und mit großen Namen wie Deep Purple, Taste und Pink Floyd 40000 Fans anlockte. “Angenehmes Wetter, fantastische Bands – tolles Festival!” erinnert sich Herbert Grab, Drummer der Rockband Steinefresser, der von Reutlingen nach Aachen pilgerte.

Die große Frage eines jeden Festivals damals war: Welche Bands werden überhaupt kommen? Wer fällt aus? In Aachen wartete man vergeblich auf Traffic und Fairport Convention. Alle anderen angekündigten Gruppen traten auf – insgesamt 23 an der Zahl, darunter mit Kraftwerk, Amon Düül und Can auch ein paar deutsche Formationen und mit Krokodil eine Band aus Zürich.

In der riesigen Publikumsmenge im Aachener Reiterstadion saß auch der Teenager Dirk Krause, der sein Tonband mitgenommen hatte, ein paar Mikrofone an die Balustrade hängte und kräftig mitschnitt. Den Auftritt der Keef Hartley Band aus England - die Band war auch beim berühmten Woodstock-Festival ein Jahr zuvor mit von der Partie gewesen - fing Krause ohne Störungen komplett ein. Die Formation präsentierte sich dabei in Hochform. Schlagzeuger Keef Hartley, der sich seine Meriten beim Bluesguru John Mayall verdient hatte, spielte mit seine, Quintett eine brodelnde Mischung aus Jazz, Rock und Blues. Vor allem der Gitarrist verstand mit virtuosen Solos und einer meisterhaften Beherrschung des Wah-Wh-Pedals das Publikum auf die Beine zu bringen. Offenbar war die Verstärkeranlage einigermaßen ordentlich ausgepegelt, denn der Sound der Aufnahme ist von passabler Qualität, wenn man einmal von leichten Verzerrungen des Gesangs und der Bläser sowie einer zu lauten Gitarre im Mix absieht.

Sireena Records, wo die CD erschienen ist, haben sich auf die Veröffentlichung solcher verschollener Aufnahmen spezialisiert. Im Katalog des Labels aus Lübeck finden sich neben dem Mitschnitt eines Konzerts der Edgar Broughton Band aus der Hamburger “Fabrik” von 1973, auch “Live”-Aufnahmen von Mott The Hoople (Schweden 1971) und Stone The Crows (Montreux 1972). Für den nostalgischen Rockfan verwandelt sich die Vergangenheit in eine Fundgrube musikalischer Schätze, aus der sicher noch einige Kostbarkeiten ans Tageslicht gefördert werden.

Der Artikel erschien zuerst im SCHWARZWÄLDER BOTE, große Tageszeitung in Südwestdeutschland

Saturday 8 March 2014

Early Recordings: IRAN

Entdeckungsreise

Frühe Musikdokumente aus dem Iran


cw. In Hayes, West-London lagert ein Schatz. Im Archiv des ehemaligen Medienkonzerns EMI (davor HMV, früher Grammophone Company) befinden sich Hunderte von Aufnahmen aus der Frühzeit der Schallplatte – Musik aus den entlegensten Gegenden der Welt. Diese Klänge heute wieder zugänglich zu machen, hat sich das kleine Label Honest Jon’s Records zur Aufgabe gemacht.

Mit der Entstehung der Phonoindustrie um 1900 war unter den Grammophon-Herstellern ein Wettlauf um die Absatzmärkte der Welt entbrannt. Um “Sprechapparate” weltweit abzusetzen, brauchte es Schallplatten mit lokaler Musik, sonst fehlte der Anreiz zum Kauf. Zwischen 1906 und 1933 hielt die englische Gramophone & Typwriter Ltd. deshalb etliche mehrtägige Aufnahmesessions auch in Teheran ab, bei denen mit unterschiedlichen Musikern und Ensembles Hunderte von Aufnahmen gemacht wurden. Eine “Persian Concert Party” reiste sogar im April 1909 zu Einspielungen eigens nach London. Die Titel wurden in Schellack gepresst, in den Iran rückimportiert und zusammen mit Plattenspielern in Möbel- und Phonoläden verkauft.

Mehr als dreißig Aufnahmen aus dem alten Iran haben es auf ein Doppelalbum geschafft, das neben virtuosen Soli der Laute Tar oder der gestrichenen Kemanche auch Duette von Klarinette/Gesang sowie Flöte/Gesang bietet, die von Laute, Trommel und Glockenspiel begleitet werden. In ekstatischer Verzückung überschlägt sich gelegentlich der Gesang wie ein alpenländischer Jodel. Je älter die Aufnahmen sind, desto ferner klingen sie für moderne Ohren. Ein informatives Booklet liefert Hindergrundinformation, ohne die die Musik hermetisch bleiben würde. Daneben bebildern historische Fotografien die musikalische Entdeckungsreise, die nicht nur in einen anderen Kulturkreis führt, sondern auch zurück in ein längst vergangenes Zeitalter.


Let No One Judge You – Early Recordings From Iran 1906-1933 (Honest Jon’s Records)

Die CD-Besprechung erschien zuerst in DIE WOCHENZEITUNG (WoZ)