Monday 12 October 2015

Hiss & Raab: Grenzritt am Rio Grande

Faustrecht der Prärie

Mexikanisch-amerikanische Impressionen von Stefan Hiss und Markus Raab


cw. Sie nennen es “einen musikalisch-philosophischen Grenzritt” zwischen Mexiko und den USA. Unlängst machten Stefan Hiss und Markus “Doc” Raab in der Balinger Stadthalle Station, banden ihre imaginären Pferde draußen an, packten das Akkordeon und einen Stapel literarischer Notizen aus und berichteten dann unter der Überschrift “Go West – Viva Mexico” in Texten und Liedern von ihren Abenteuern entlang des Rio Grande.

Mexiko erscheint aus europäischer Perspektive als ein Land zwischen antiken Maya-Tempeln und aktuellem Drogenkrieg, wobei Sombrero, Tequila und Mariachi als kulturelle Aushängeschildern dienen. In seinen Texten , die manchmal persönliche Erfahrungen verarbeiteten, manchmal politisch-kulturelle Reflexionen einflochten, ging es Markus Raab, im bürgerlichen Beruf Kulturbürgermeister in Esslingen, darum, unter die Oberfläche von Klischees und Vorurteilen zu gelangen. Dabei rief er eine ganze Phalanx von philosophischen und literarischen Kronzeugen auf: von Kafka und Ernst Jünger bis zu Nietzsche und Heidegger.

Akkordeonist Stefan Hiss lieferte dazu die musikalische Wegzehrung, sang Lieder, die die angesprochenen Themen ausmalten und konkretisierte. Dabei zauberte er ein paar Klassiker aus dem Repertoire seiner Gruppe Hiss hervor, intonierte aber auch Evergreens von Johnny Cash und aus der Texmex-Tradition, die er souverän in Spanisch anstimmte und mit wimmerndem Akkordeon-Tremolo dramatisierte. Das herzerweichende “Volver, volver” durfte dabei nicht fehlen.


Anfangs kratzten die beiden am Mythos der USA, indem sie die Expansion der europäischen Siedler unter dem Motto “Go West” nachzeichneten, der nicht nur die indianischen Ureinwohner zum Opfer fielen, sondern letztlich auch das Ideal der Freiheit. Danach überquerten Hiss und Raab den Rio Grande und gelangten ins Mexiko der Gegenwart. Hier konzentrierten sich die beiden Künstler, die familäre Verbindungen nach Mexiko haben und dort oft unterwegs waren, auf den brutalen Drogenkrieg, der das Land seit Jahren im Würgegriff hält. 80000 Menschen sind dem Wüten der Drogenkartelle bereits zum Opfer gefallen, deren Verbrechen die Gesellschaft inzwischen bis in die letzte Faser hinein vergiften. Angst und Schrecken sind alltägliche Realität. Der Auftritt war wahrlich keine Touristenwerbung, obwohl auch immer wieder der Mythos vom alten Mexiko aufleuchtete. Vielmehr gewannen poetisch-düstere Betrachtungen mehr und mehr die Oberhand. Es war der Abgesang auf eine  Welt, die zunehmend in Gewalt versinkt, wobei der Untertitel des Programms “Viva Mexico” am Ende wie ein verzweifelter Hilferuf klang.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.

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