Monday 26 September 2016

POST-JAZZ mit dem Tausendfüßler

 Imaginäre Filmmusik

Die Avant-Pop-Band Le Millipede in der Manufaktur in Schorndorf


Das Harmonium legt den Grundton und hält ihn lange aus. Nach einer Weile setzt der Synthesizer mit einem rhythmischen Stakkato ein, das wie ein Morsezeichen klingt und sich in der Endlosschleife dreht. Das Schlagzeug akzentuiert mit einem entspannten Beat, während ein zweiter Synthesizer eine weitere Klangschicht einzieht, bevor dann die Posaune mit mächtigem Ton und einer singbare Melodie die minimalistischen Muster in einen formidablen Song überführt. Die Gruppe Le Millipede (= der Tausendfüßler) kommt immer mehr in Schwung. Das Quintett aus München entwirft bei seinem Konzert im gutgefüllten Club Manufaktur in Schorndorf eine Musik, die mit ihren verschiedenen Standbeinen in Synthi-Pop, kreativem Jazz oder Minimal Music steht, die Fühler aber bereits in andere Sphären ausstreckt. Was dabei herauskommt, sind Klänge, die wie eine imaginäre Filmmusik klingen.

Le Millipede ist die neuste Erfindung des Jazzposaunisten Mathias Götz. Der Münchner hat dazu die Brüder Markus und Micha Acher ins Boot geholt, die durch die Rockgruppe The Notwist international bekannt sind. Um ihren vielfältigen Einfällen Rechnung zu tragen, die nicht alle bei The Notwist Verwendung finden, lassen sich die Acher-Brüder immer wieder auf Seitenprojekten ein, von denen die Gruppe Le Millipede das aktuellste ist.

Allerdings drängeln sich die beiden nicht in den Vordergrund, sondern überlassen ihren Mitmusikern weitgehenst die Szenerie. Als solide Rhythmusgruppe aus Tuba und Schlagzeug bieten sie dem Posaunisten Mathias Götz ein weites Feld zur kreativen Entfaltung. dessen klarer kraftvoller Ton an den Reggae-Posaunisten Rico Rodriguez erinnert. Götz weiß darüber hinaus in den Improvisationen zu glänzen. Klanglich eingebettet werden seine schallenden Posaunenstöße von einer ganzen Reihe von Synthesizern, die Klänge einspeisen, wie man sie aus frühen Science-Fiction-Filmen kennt und die gelegentlich an eine billige Plastikorgel erinnern. 


Als Zugabe gibt es ein Stück von Sun Ra, dem längst verstorbenen amerikanischen Jazzexzentriker, der behauptete einst als Außerirdischer auf die Erde gekommen zu sein und von Bigband-Swing bis zu avantgardistischen Soundexperimenten alles in die Musik seines “Arkestras” einbezog. Sun Ra legte wohl eine der Spuren, der der Tausendfüßler folgt, wobei deutlich wird, warum der aktuelle Jazz vielfach so altbacken und gar nicht aktuell klingt. Er hat - im Unterschied zu Le Millipede - die Entwicklung der Popmusik seit den 1980er Jahre komplett verschlafen.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.

Saturday 10 September 2016

Nachruf: Claus Böhm (1953-2016)

ZUM TOD VON CLAUS BÖHM
Foto: Manuel Wagner
Ich habe Claus Böhm kennengelernt, als ich in Sachen Recherche für mein Buch 'Klang der Revolte' 2010 unterwegs war. Irgendjemand muss mich auf ihn aufmerksam gemacht haben. Ich habe Claus dann zuerst an seinem Arbeitsplatz bei der MOTOR PRESSE in Stuttgart interviewt, wo er als Redakteur (er schrieb u.a. auch Plattenbesprechungen) arbeitete. Damals war er vor allem in der Ausbildung von Nachwuchskräften tätig.

Etwas später habe ich ihn dann noch einmal besucht - diesmal bei ihm daheim. Er war ein Springbrunnen an Erinnerungen, die alle mit seiner Vergangenheit zu tun hatten, als er ein paar Jahre lang als Schülersprecher des Gymnasiums in Stuttgart-Feuerbach Rockkonzerte veranstaltete: Kraftwerk, Atomic Rooster, MC5, Quintessence, Can, Out of Focus - you name it! Ich habe eine genaue Liste der Konzerte, die er mir damals gab.

Claus, dessen Eltern in seiner Jugend ein Elektrogeschäft mit Plattenabteilung betrieben, war ein echter 68er, für den Musik fast eine existenzielle Bedeutung hatte. Ich habe sein Erlebnis beim Jimi Hendrix-Konzert im Januar 1969 in der Stuttgarter Liederhalle für meine Radiodokumentation darüber im SWR2 verwendet. Er zeigte uns (mein Neffe, der Fotograf Manuel Wagner, war mit dabei) das Hendrix-Poster mit den Autogrammen, auf das er sehr stolz war. Außerdem erzählte er Interessantes von Marsha Hunt (der Soul-Pop-Sängerin mit dem Afro / Hit: 'Keep the customers satisfied' von 1970), die er offenbar etwas näher kennengelernt hatte, als sie ebenfalls in Feuerbach auftrat. Er hat sie später noch einmal in London besucht. Dagegen hatte Claus über MC5 nicht viel Gutes zu berichten: Sie hätten sich damals "wie Schweine" aufgeführt.

Es hat mich schwer betroffen, als ich jetzt von seinem Ableben erfuhr. Ich hatte in letzter Zeit ein paar Mal versucht, ihn angerufen. Seine Handynummer funktionierte nicht mehr, daheim nahm niemand ab.

Thursday 8 September 2016

50 Jahre "SUNNY" - die Bobby Hebb-Story



Nicht nur sonnig!

Kein Song wurde öfters gecovert als “Sunny” - jetzt feiert der Hit 50jähriges Jubiläum

cw. Der Name seines ursprünglichen Interpreten ist nur noch ein paar Spezialisten bekannt. Doch kommt die Rede auf seinen Song, trällern alle sofort die Melodie. Das Lied ist zum Gassenhauer geworden, während sein Komponist nahezu in Vergessenheit geraten ist. Oder wer kennt heute noch Bobby Hebb, der vor 50 Jahren “Sunny” geschrieben und gesungen hat?

Manche behaupten sogar, der Song wäre das am meisten gecoverte Lied des Pop. Sicher ist: Von James Brown, Marvin Gaye und den Four Tops bis zu Dusty Springfield, Ella Fritzgerald und Shirley Bassey reicht die Liste der Stars, die “Sunny” schon gesungen haben. Sie alle haben den Titel zu einem wahrhaft universellen Evergreen gemacht.

Wenn man als Afroamerikaner vor dem 2. Weltkrieg im amerikanischen Süden geboren wurde, war das Leben kein Zuckerschlecken: Unterdrückung, Rassismus und Gewalt waren an der Tagesordnung. Das musste Bobby Hebb schon früh erfahren. Da beide Eltern blind waren, blieb zum Überleben nur die Musik: Hebb’s Kitchen Cabinet Orchestra hieß die Combo, mit der die Familie versuchte, über die Runden zu kommen. Für die Kinder bedeutete das von kleinauf zum Lebensunterhalt beizutragen: Faulenzen war nicht drin, sonst wäre man nichts weiter als ein unnützer Fresser gewesen!

Gerade mal drei Jahre war der Kleine alt, als er mit seinem älteren Bruder als Teil eines Tanztrios mit der Vaudeville-Truppe Jerry Jackson & The Hepcats auf Tournee durch die amerikansche Provinz geschickt wurde. Das Publikum war begeistert, konnte von den putzigen Tanzschritten der Pimpfe nicht genug bekommen.

Mit zwölf Jahren gelang Hebb ein Coup. Er ergatterte einen regelmäßigen Auftrittsplatz im Programm eines Radiosenders in Nashville. Countrystar Roy Acuff wurde auf den Teenager aufmerksam und holte ihn in seine Band, was damals gegen alle Regeln verstieß. Als einziger Schwarzer in einer weißen Countrygruppe den amerikanischen Süden zu bereisen, war nicht ohne Risiko. Doch Acuff nahm den Teenager unter seine Fittiche, sorgte dafür, das er anständig behandelt wurde, und ließ ihn im Ernstfall im selben Hotelzimmer wie seine Familie übernachten. Bei Auftritten mit den berühmten Smokey Mountain Boys versetzte der Knirps durch sein Solo mit trommelnden Löffeln die Zuhörer in Begeisterung.
                                                                                                                       Foto: Harald Hoffmann

Bobby Hebb war darauf erpicht, sein musikalisches Können zu erweitern. Er lernte Gitarre spielen, schrieb eigene Songs, veröffentlichte sogar ein paar Singles unter eigenem Namen. Seine Ambitionen brachten ihn nach New York. Probeaufnahmen wurden gemacht, bei Plattenfirmen vorgesprochen. Als er eines Morgens spät nach Hause kam, inspirierte ihn der Sonnenaufgang über der New Yorker Skyline zu einem Song: “Sunny” wurde Hebbs Sechser im Lotto!

Die Single zündete und stand bereits im Frühjahr an der Spitze sämtlicher Hitparaden. Nun öffneten sich für Hebb plötzlich alle Türen. Im Vorprogramm der Beatles nahm er an deren letzter US-Tour teil. Ein Album folgte. Andere Musiker coverten seine Songs. Mitte der 1970er Jahre gründete er sein eigenes Plattenlabel, Crystal Ball Records, was sich jedoch als Fehlschlag erwies. 1976 entstand noch eine Disco-Version von “Sunny”, doch die große Zeit war unwiederbringlich vorbei. Sorgen musste sich Hebb allerdings keine machen. Die Tantiemen von “Sunny” sicherten ihm ein bequemes Leben.

Vor einigen Jahren stöberte Rüdiger Ladwig vom Hamburger Trocadero-Label das “One-Hit-Wonder” in Ann Arbor, Michigan auf. Die Idee war, einen Sampler mit verschiedenen Versionen von “Sunny” zusammenzustellen. Der Song war mittlerweile zum Dauerbrenner geworden. Zum 50jährigen Jubiläum des Lieds ist die Compilation jetzt erschienen.

   

Thursday 1 September 2016

SPIRITUAL & GOSPEL FESTIVAL 1965

Ein paar Jahre nachdem das American Folk & Blues Festival erfolgreich durch Europa getourt war und erstmals schwarze Bluesmusiker vorgestellt hatte, machte die Agentur Lippmann & Rau 1965 den Versuch, nach dem gleichen Konzept ein Spiritual & Gospel Festival zu präsentieren. Beteiligte waren: The Original Five Blind Boys of Mississippi, Ines Andrews & The Andrewettes und Bishop Samuel Kelsey & The Congregation of Temple Chruch of God in Christ, Washington D.C. Das Konzert am 25. Januar 1965 in "Der Glocke" in Bremen wurde aufgezeichnet. Die Aufnahmen erschienen auf LP, die in England auf Fontana herauskam. Das Cover hat vermutlich der legendäre Günther Kieser entworfen, obwohl er namentlich nicht genannt ist.

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