Monday 8 May 2017

Internationales Trickfilm Festival in Stuttgart 2017

Grenzenlose Fantasie

Das Internationale Trickfilm Festival Stuttgart 2017 im Höhenflug

Öffentliches Filmegucken auf dem Stuttgarter Schloßplatz (Foto: Rose Revitt)

cw. Zeichentrickfilme werden oft mit Kinderfilmen gleichgesetzt. Dass das eine unangemessene Verallgemeinerung ist, beweist jedes Jahr das Internationale Trickfilm Festival Stuttgart, das gerade zum 24. Mal stattfand. Das ITFS wartet mit einem Themenspektrum auf, das von politisch über zeitbefindlich bis zu zwischenmenschlich reicht und auch das Fantastische und Surreale einbezieht, ohne Slapstick und Komik zu vergessen.

Dieses Jahr stand das knapp eine Woche dauernde Filmereignis mit über 200 Veranstaltungen unter dem Motto „Animation without Borders – Grenzenlose Animation“ und zog 90.000 Teilnehmer, Spezialisten und Fans aus der ganzen Welt an. Alle Vorführungen sind in einem 200 Seiten dicken Programmheft zusammengefasst. Sie verwandeln die Landeshauptstadt für sechs Tage in ein globales Zentrum für Animation, Trickfilm, Visual Effects, Virtual Reality und Bewegtbildkommunikation. Dabei kam bei diesem Durchgang dem Filmeschaffen in der arabischen Welt besondere Aufmerksamkeit zu.
                                                                          
Zeichentrickfilme können abendfüllende Langfilme sein, doch häufiger sind Kurzfilme, wie sie unter den Stichworten „Young Animation“ und „Internationaler Wettbewerb“ täglich zu sehen waren – zwischen zwei und zwanzig Minuten lang. Die künstlerisch gelungensten Filme waren oft solche, die sich erzählerisch beschränkten, eine kurze Geschichte ins Szene setzten oder ein knappes Statement enthielten. Dem Iraner Alireza Hashempour, der an der Baden-Württembergischen Filmakademie in Ludwigsburg studiert hat, ist dies mit dem Dreieinhalbminüter „In one Drag – in einem Zug“gelungen. Der Film zeigt einen Raucher, der eine Kippe wegwirft, die sich mit anderen Zigarettenstummeln zu einem riesenhaften Zigarettenungeheuer vereinen, das dann den Übertäter in einer Selbstgedrehten raucht. Hashempours Streifen überzeugte durch seine knappe Handlung, die mit Witz ohne Umschweife auf den Punkt kam! 

Neue Technologie in der GameZone (Foto: Rose Revitt)
Eine Vielfalt an Darstellungstechniken kam in den mehr als 1.000 Filmen zum Zuge, die dieses Jahr zu sehen waren. In manchen Streifen waren Knetfiguren die Hautdarsteller, in anderen erweckte der Bleistift die Akteure zum Leben. Es gab Puppentrickfilme, auch solche, die verschiedene Techniken mischten oder gänzlich am Computer entwickelt wurden – die Welt des Zeichentrickfilms setzt der Fantasie keine Grenzen.

Eine ganz eigene Bildsprache zeichnete etwa den sechs-minütigen Film „In Other Words“ der israelischen Künstlerin Tal Kantor aus, der Fotografie und Zeichnen auf beeindruckende Weise verband. Eine ähnlich eigenständige Bildsprache besaß der Kurzfilm „Je Mangerais Bien En Enfant“ der französischen Filmemacherin Anne-Marie Balay. Hauptperson dieser charmanten Geschichte über das Essen war ein kleines Krokodil, das anstatt der täglichen Bananen nun ein Kind essen wollte, wobei origineller Weise alle Akteure und Requisiten mosaikartig aus Nahrungsmitteln wie Linsen, Reis und Pasta gebildet waren.   

Animationstechnisch auf hohem Niveau und künstlerisch-ästhetisch makellos, mangelte es vielen Filme – im Unterschied zu diesen Streifen – an einem konsistenten Handlungsstrang, oder sie enthielten Sequenzen, die auf einen bestimmten Effekt abzielten, der von der Erzähldramaturgie her eigentlich überflüssig war. Davon hob sich im Internationalen Wettwerb das fünfeinhalb- minütige „Nachtstück“ von Anne Breymann ab. Inszeniert als eine Art Traumsequenz, ließ es eine völlig eigene Welt entstehen abseits von den vielen Klischees, die auch im Trickfilm-Genre überall lauern.

So hoch die künstlerischen Qualität so chaotisch gelegentlich die Organisation: Halbstündige Wartezeiten in überhitzten Kinotreppenaufgängen sind für jeden Kinofan eine Zumutung, für Personen, die nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte sind, wachsen sie sich zu einer Totur aus. Solche Widrigkeiten trübten ab und an den Filmgenuß eines Festivals, das auch dieses Jahr wieder zu einem Höhepunkte im kulturellen Leben der Landeshauptstadt wurde. 


Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland. 

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